Donnerstag, 19. März 2015

Züglete

Liebe Mitleser,

mein Blog ist umgezogen. Das hat hauptsächlich ästhetische Gründe, ist aber wie jede Züglete eine anstrengende Angelegenheit... bis man sich im neuen Heim erstmal eingerichtet hat – meine Güte!

Kurz und gut: Ihr findet alle alten und bald auch ganz viele neue Tagebucheinträge ab sofort und künftig nur noch auf


See you there ... und gerne auch ganz echt und physisch hier in Havelberg!



Dienstag, 3. März 2015

Innenansichten

Wir haben vergangene Woche eine Art Freibrief erhalten. Ausgestellt hat ihn – natürlich nur mündlich, aber äußerst verlässlich klingend – die Mitarbeiterin der Denkmalpflege in Stendal. Der Freibrief lautet auf straffreien Herausriss aller neueren Einbauten, Draufklebungen, Verkleidungen und ähnlichem Murks, die ab sagen wir mal grob 1850 irgendwie in dieses Haus gekommen sind.
Wir haben also losgelegt. Das Ergebnis ist ein Haufen, ein riesiger Haufen. Falsch: Viele Häufen: Bauschutt. Elektroschrott. Holz. Und der größte Haufen Mischabfall. Das wird teuer. Das Positive: Hier und da ist das Haus schon viel luftiger, weil die muffigen 70er Jahre Wandschränke raus sind. Bei der ganzen Herausreisserei ist sogar etwas entstanden, das man anderswo wohl Kunst nennen würde. Kunst an der Baustelle, sozusagen. Als wir es gesehen haben, mußten wir wirklich lachen. Und sind ganz ganz sicher: Das ließe sich der geneigten Kunstwelt als ein Ai Weiwei verkaufen. Dabei war's einfach der Gatte, der die DDR-Deckenverkleidung abgerissen hat. 


Unbehandeltes Holz legen wir beiseite und verarbeiten es zu schlundgerechten Stücken für die Kachelöfen in unserer Wohnung. Nun hat der liebe Gott aber wohl gewollt, dass wir es nicht ganz so leicht haben. Deshalb hat er den Leuten, die die Deckenverkleidung angebracht haben, viele Nägel in die Hand gegeben – aber wenig Zielgenauigkeit. Bevor wir nun also das Holz in ofenlochgerechte Stücke sägen können, müssen wir diese Nägel herausziehen. Alle. Fast alle. Meine Güte, allein der Schrottwert! Davon können wir uns... ja, also, äh: Ein Eis kaufen. Das Nägelziehen erledigt mit einer Engelsgeduld, einem Kuhfuß und einem Hammer –richtig: Der Schwiegervater. Und der mag am liebsten Schokoeis.
Allerdings muss man sagen, dass beim Abtragen eben jener Einbauten – leider, leider, leider – noch nicht so viel Spannendes zutage getreten ist. Hier und da verbirgt sich hinter einer Tapete aus den 90ern (weiß-silber-wolkig) eine Tapete aus den 70ern (beige-braun), vor einer aus den 1890ern (Rosen), die auf einer aus dem Biedermeier haftet (auch Rosen). Keine Ahnung, wieso  zwischen 1890 und 1970 anscheinend niemand tapezieren mochte. 
Was wir sonst gefunden haben? Ein paar Stühle auf dem Dachboden, DDR-Ofenkacheln, viele Deckenleuchten (drei davon schön), 70er Jahre Fliesen, eine Kloschüssel und nochmehr Sachen, bei denen sogar uns die Fantasie fehlt, was man damit machen könnte. Es wäre eigentlich schön, Fundstücke aus dem Haus weiterverwenden zu können, sie quasi mitzunehmen in sein nächstes Leben. Aber bislang ist uns noch kein richtiger Schatz in die Hände gekommen. Zur Diskussion stehen drei oder vier Stühle, die drei angesprochenen Lampen und ein wohl 100-jähriges keramisches Ausgussbecken, dem ich – sobald es wärmer ist – mal mit Putzmittelunterstützung die Frage stellen werde, ob es noch ein bisschen bei uns bleiben möchte.


Aber nochmal zurück zur Denkmalpflegerin. Ich glaube, die Frau hat nicht sooo oft mit Antragstellern (so deutsch, dieses Wort) zu tun, die so ein Denkmal wirklich mit ganz ganz viel Respekt behandeln wollen, sich in baulichen Fragen echt auskennen und vor allem: Die ihr feine Zeichnungen mitbringen. Ich selber kann ja gar nicht zeichen, nicht einen schönen Strich. Nicht einen. Sieht immer hässlich aus. Der Kunstunterricht machte mir erst Spaß, als wir uns mit Konstruktionsprinzipien romanischer und gothischer Kirchen befassten. Egal. Der Gatte jedenfalls kann zeichnen. Und wie! Und er hatte die Zeichnungen der Eingangstüren dabei. Aus meiner Sicht besser als der Ai Weiwei vom Deckenabriss – schon weil auf Dauer eher eine Zierde im Haus selbst. Ehrlich, ich glaube wenn wir mit dem allen hier durch sind und Wände haben, an die man Bilder hängen kann, dann kommt das Bild der Haustür, wunderbar gerahmt, an die Wand. Jawoll!


Sonntag, 22. Februar 2015

Havelberg/PR


Ich weiß es schon: Jetzt muss ich beide Seiten erstmal aufklären. Zuerst die Schweizer: Das PR steht für Prignitz, jener zum Bundesland Brandenburg gehörende Landstrich, in dem Havelberg historisch und emotional liegt – und nicht etwa in der Altmark (Bundesland Sachsen-Anhalt), zu der es laut deutscher Gebietsgliederung und Verwaltungszuordnung gehört. Aber es gibt ja Möglichkeiten zivilen Ungehorsams, um Mißfallen auszudrücken: Viele Einheimische haben sich kürzlich auf einem ganz legalen Wege für die Abgrenzung vom Landkreis Stendal und damit von der Altmark entschieden, indem sie sich ein Autokennzeichen mit HV machen liessen, als das wieder möglich war. Ging nämlich seit 1994 nicht mehr, ab da gab's nur noch SDL fürs Auto, weil Havelberg kein eigener Landkreis mehr war, sondern nur noch Anhängsel vom Altmarkkreis Stendal. Bei der Autozulassungsstelle, also dem hiesigen Strassenverkehrsamt, müssen die Menschen für die neuen Kennzeichen Schlange gestanden haben wie vor dreissig Jahren wenn's Bananen gab (die allerdings nicht im Strassenverkehrsamt, sondern im Konsum). Mit dem HV am Auto zeigt man: Ich bin Havelberger, und mit dem Landkreis Stendal (der Altmark) hab ich nichts zu tun. Wir dagegen haben noch SDL am Auto. Daran kann man schonmal erkennen, dass wir Grenzgänger sind. Oder Sparfüchse. Momentan hab ich mit meinen Groschen Anderes vor als einen zusätzlichen Verwaltungsvorgang zu finanzieren. Aber merke: Auch hierzulande grenzt man sich gern ab. AG ist nicht ZH und HV ist nicht SDL.
Jetzt die Deutschen: In der Schweiz kennzeichnet man die Orte gewöhnlich mit dem zweistelligen Kürzel des Kantons, in dem sie liegen – das verhindert Verwechslungen. Mir fällt gerade jetzt kein konkreter Ort ein, den es zweimal gibt, aber ich weiss ganz sicher, dass dieser Fall existiert. Ist auch egal. Nein, eine Anmerkung noch: Wenn die Orte dann doch im gleichen Kanton liegen, erfindet man eine andere und dabei zutiefst elegante Lösung. Im Kanton Zürich Dietikon und Dietlikon. Ich kann es mir nicht anders erklären als dass das mit dem L ganz sicher Einzigartigkeit herstellen soll. 
Nun ist der Titel dieses Blogeintrags aber nicht hauptsächlich dazu da, damit ich mich ein bisschen schulmeisterlich aufführen kann. Nein, er hat einen ganz ernsten Hintergrund: Die Schweiz begegnet uns auch hier – so fern sie auch sein mag: Havelberg und die Schweiz sind quasi eins.
Zuerstmal im Fernsehen. Das Haus hat eine Satellitenschüssel auf dem Dach (zum Thema Kabelanschluss hatte ich mich ja bereits geäußert... der Winter ist übrigens doch recht mild, der Holzstapel mithin noch da...). Wir haben ein paar Tage gebraucht, bis wir das mit der Schüssel rausgefunden hatten, aber dann – oho – nach dem Sendersuchlauf die große Überraschung: Wir gucken hier SAT1 Schweiz. Und Kabel 1 Schweiz. Und Pro Sieben Schweiz. Mit, tätäää, Schweizer Werbung. Konkret: Coop Naturaplan, Lipo Möbelmärkte, M&Ms und: Schweizer Frauen mit Verdauungsproblemen und Flecken in der Wäsche. Nei, ich bring dia Fläcke eifach nöd usse. Herrlich. Wir haben noch nicht rausgefunden, woran das Ganze liegt. Muss mal die Nachbarn fragen, ob die dieselben Frauen mit denselben Verdauungsproblemen sehen und hören. Vielleicht liegt's auch an unserem Fernseher, weil der in Schweiz gekauft wurde – und daher Wäschefleckenprobleme nur auf Schwyzerdütsch vermitteln kann.
Und dann gibt's beim Bäcker "Schweizer Knoten" Es handelt sich dabei um ein recht krustiges, fgeflochtenes, rundes und innen luftiges Brötchen. Müsste korrekt eigentlich Schweizer Knopf heissen. Aber da kann ja hier niemand wissen. Oder noch korrekter: Bürli. Kann man wohl nur deshalb nicht so nennen, weil man dann befürchten müsste, dass die Alkis beim "Netto ohne Hund" (das ist der Supermarkt an den der Schweizer Knoten verkaufende Bäcker angegliedert ist) dann immer denken würden, da ist irgendwie Bier drin. Schmecken 1a wie Bürli – und zwar die von der besseren Sorte. Gibts aber nur selten, kürzlich waren keine geliefert worden. Ja, die Schweiz ist halt weit weit weg... 

Dann gibt's auch noch den"Netto" mit Hund im Logo. Dort findet man Schweizer Leckereien gerne mal reduziert, genau wie bei Norma (womit wir die Havelberger Supermarktauswahl jetzt zu drei Fünfteln vorgestellt hätten). Zum Beispiel dunkle Schoki mit Meersalz: Kennt hier keiner, mag hier keiner, die Durchschnittskundschaft vom "Netto mit Hund" schon gar nicht. Sehr gut: Bleibt mehr für uns. Wobei, ähnliche Feinschmecker-Glücksfälle ereigneten sich auch in Altstetten, nur bezogen die sich  nie auf die Schoki mit Meersalz, sondern eher mal auf ein Biohuhn. Da wussten in der direkten Umgebung vom Solidapark wohl nicht soooo viele, wie man das zubereitet. Hier dagegen gibt's erst gar keine Biohühner im Laden, sondern nur direkt vom Hof. So lassen sich derartige Wissenslücken ganz einfach vertuschen. 
Aber auch ein Problem mit Schweiz-Bezug prägt unseren Alltag, und auch dieses ist kulinarischer Natur: Unsere Butterdose, gekauft im Jahr 2000 in einem Lyoner Brocki äh Brocante äh An- und Verkauf harmonierte ganz wunderbar mit dem Schweizer Butterformat. Hierzulande muss man Glück haben und im Netto mit Hund grade den Aktionszeitraum abpassen, in dem es dänische Lurpak-Butter gibt, die passt rein. Kriegt man die nicht, muss man von der langen Seite eines deutschen Butterstücks ca. 1 cm abschneiden, den dadurch entstandenen Streifen teilen und die beiden Teile an den kurzen Seiten wieder anfügen.  Denn, merke: Weder das deutsche noch das Schweizer bzw französische Butterformat sind universal global gültig. Es gibt auch noch das dänische. Nur so als Beispiel.
Kürzlich ereignete sich sogar beim Kinderarzt eine kleine Geschichte mit Schweiz-Bezug. Ich sag zur Sprechstundenhilfe: Ja, äh, unser Untersuchungsheft ist bisschen anders als die, die sie kennen, weil wir sind ja erst wieder zugezogen, aus, äh, ja aus der Schweiz. Haben Sie wahrscheinlich auch nicht täglich, den Fall. --- Also, das kann man so nicht sagen. --- Echt? --- Ja, kürzlich waren auch welche da, die kommen aus der Schweiz wieder, die wollten schonmal nen Termin bei der Ärztin abmachen. 
Da hab ich wirklich große Augen gemacht: Echt jetzt? Da bring ich Ihnen mal eine Karte mit unserer Telefonnummer vorbei. Wenn Sie die in deren Patientenakte legen würden, dann könnten uns diejenigen mal anrufen... Jaja, über Diskretion und wie mit ihr umzugehen ist: Da haben wir was gelernt. Bis jetzt hat das Telefon übrigens noch nicht geklingelt. 
Diese Woche gab's dann allerdings einen Moment, der mich wirklich nostalgisch machte: Ich war für zwei Tage in Leipzig beim "schönsten MDR der Welt" (so sagt das –  natürlich ganz und gar ironiefrei eine Mitarbeiterin von dort) und, grade für die Rückfahrt in den Zug eingestiegen, schaute ich aus dem Fenster auf eine Lok auf dem Nebengleis und darauf prangte ein Luftbild von der Limmat, mit Großmünster, Rathausbrücke und und und. Es stellte sich ein ganz komisches Gefühl ein: So vertraut, so ganz nah und doch eine ganz andere Welt. Irgendwie grad unerreichbar. Zumal der Zug mit Ziel Dresden aus dem Bahnhof rollte.

Eine Anmerkung noch zur Schreibweise in diesem Blog: Oft schreibe ich Doppel-S wo nach hiesiger Sitte ein ß stehen müsste, zum Beispiel Strasse statt Straße. Das hab ich mir in Zürich aus leicht nachvollziehbaren beruflichen Notwendigkeiten heraus so angewöhnt – zumindest beim Tippen. Schließlich wollte ich die liebe Martina R., unsere Korrektorin, nicht unnötig ärgern – und den Christoph R. auch nicht und zwar aus demselben Grund. Von Hand habe ich das aus meiner Sicht wunderbare ß immer beibehalten. Ich gebe mir in diesem Blog (ausnahmsweise) mal keine besondere Mühe und tippe einfach so, wie mir die Buchstaben aus den Fingern hüpfen. Merke: An der wachsenden Zahl der ß kann die Nachwelt  eventuell meine gelingende Re-Integration ablesen. Und als kleine Belohnung für alle, die bis hierhin mitgelesen haben gibt's noch ein schönes Hausfoto, das ich vor einigen Wochen gemacht habe, als kurz Schnee lag. Ich danke für die Aufmerksamkeit!